Pflanzen haben typischerweise einen oder mehrere sogenannte „Trivialnamen“, „Vulgärnamen“ oder „volkstümliche“ Namen in der jeweiligen Landessprache. Daneben haben sie aber auch wissenschaftliche (botanische) Namen, die meist aus dem Lateinischen stammen, manchmal aber auch aus dem Griechischen. So trägt z.B. die Pflanze mit dem deutschen Trivialnamen Zitronenmelisse den botanischen Namen Melissa officinalis L. In diesem Blogbeitrag geht es darum, wie solch ein wissenschaftlicher Name dabei helfen kann, die Position von Pflanzen im System der Pflanzenwelt zu erkennen. Außerdem erfährt man, wie man Pflanzen in der sogenannten botanischen Taxonomie und Systematik wissenschaftlich benennt, voneinander abgegrenzt und in ein System von Verwandtschaftsbeziehungen einordnet. Dazu gibt es Literaturhinweise und Video-Empfehlungen zu botanischer Taxonomie und Pflanzennamen sowie Tipps zum Lernen botanischer Namen. Und beim heutigen Sprachspinat-Tipp geht es um Aktivitäten im Biologie‑, Deutsch- oder Lateinunterricht, mit denen man gleichzeitig Sprachbildung betreiben, das Nachdenken über Sprache anregen und gleichzeitig einiges über das Pflanzenreich lernen kann.
Gründe für die Verwendung von botanischen Namen
Wenn man Pflanzen essen, als Arzneipflanze nutzen, mit ihnen handeln oder sie wissenschaftlich untersuchen möchte, muss man die einzelnen Pflanzen eindeutig identifizieren und benennen können. Die deutschen Trivialnamen eignen sich dafür nicht. Auf der einen Seite sind diese Namen oft mehrdeutig. So verwendet man z.B. den Namen Zitronenkraut sowohl für die Zitronenverbene (Aloysia citrodora Paláu) als auch für die Zitronenmelisse (Melissa officinalis L.).
Auf der anderen Seite trägt ein und dieselbe Pflanze oft mehrere verschiedene „volkstümliche“ Namen, die auch oft regional unterschiedlich sind. So nennt man z.B. die Zitronenverbene (Aloysia citrodora Paláu) auch Zitronenkraut. Die weit verbreitete und vielfältig genutzte Zitronenmelisse (Melissa officinalis L.) weist sogar eine noch viel längere Liste von deutschen Vulgärnamen auf, z.B. Zitronenkraut, Zitronellkraut, Bienenfang oder Frauenkraut. Diese und weitere Synonyme von Zitronenmelisse findet man z.B. im Plantamedia-Eintrag oder im Gartenwissen.de-Eintrag für diese Pflanze sowie auf der Gesundheit.de-Seite bzw. der Wort-Suchen.de-Seite in einer Masterarbeit zu einem Kräutersinnespfad).
Die binäre Nomenklatur: Regeln für den Aufbau von botanischen Pflanzennamen
Um die angesprochenen Unklarheiten bei der deutschsprachigen Pflanzenbenennung zu vermeiden, entwickelte der Botaniker Carl von Linné (auch Linnaeus genannt, 1756 bis 1778) ein wissenschaftliches Benennungssystem, das jeder Pflanze einen eindeutigen Namen zuweisen soll. Dieser Name sollte Linnés Auffassung zufolge auch Informationen über die Pflanze liefern. Außerdem sollte der botanische Name primär auf lateinischen Begriffen beruhen, d.h. auf die verbreitete Wissenschaftssprache in Linnés Umfeld bezogen sein.
So entstand Linnés sogenannte binäre, d.h. zweiteilige, Nomenklatur (von lateinisch nomenclatura‚ Namenverzeichnis) für alle lebenden Organismen, d.h. nicht nur für Pflanzen, sondern auch für Tiere, Algen, Pilze, Bakterien etc. In diesem System besteht jeder wissenschaftliche Name für ein Lebewesen aus zwei Teilen: aus dem kursiv geschriebenen Gattungsnamen (genus) mit großgeschriebenem Anfangsbuchstaben (z.B. Melissa) gefolgt von der ebenfalls kursiv geschriebenen näheren Beschreibung der betreffenden Art (specific epithet) in Kleinschreibung (z.B. officinalis). Im Anschluss an diesen Namen wird typischerweise angegeben, wer für die offizielle Klassifikation und Beschreibung verantwortlich war (z.B. durch ein „L.“ für Linné).
Die von Linné vorgeschlagene Nomenklatur entwickelte sich zur Grundlage der internationalen Wissenschaftskommunikation in der Biologie. Dazu bedurfte es strenger internationaler Organisationen und Regelwerke (Codes). Im 19. Jahrhundert entstanden solche Institutionen und Regelwerke; und heute orientiert sich die Namensgebung für Pflanzen am „International Code of Nomenclature for algae, fungi, and plants“.
Die botanische Taxonomie: ein Verfahren zur Klassifizierung und Benennung von Pflanzen
Der Bezug der binären Nomenklatur auf Gattungen und Arten setzt entsprechende Klassifizierungen voraus. Außerdem besteht eine Hierarchie zwischen den höherrangigen Gattungen und den ihnen zugeordneten Arten. Somit beruht die binäre Nomenklatur für wissenschaftliche Pflanzennamen auf den botanischen Fachbereichen der Taxonomie und der Systematik.
Bei einer Taxonomie handelt es sich um ein systematisches Verfahren oder Modell, mit dem man Objekte nach bestimmten Kriterien klassifizieren, d.h. Kategorien oder Klassen zuordnen kann. Dabei versucht man, systematische Einheiten zu erkennen und von anderen abzugrenzen. Solche Einheiten bezeichnet man als Taxa (Singular das Taxon, vom griechischen Wort für (An-)Ordnung bzw. Rang).
In der biologischen Taxonomie sind Taxa Gruppen von Lebewesen, die man als systematische Einheiten anerkannt hat. Dabei weist man diesen Gruppen idealerweise einen Namen zu. Dies gilt z.B. für Pflanzengattungen oder Pflanzenfamilien in der botanischen Taxonomie. Die botanische Taxonomie ist ein Teilgebiet der Botanik, die wiederum einen Teilbereich aller Lebewesen erfasst, nämlich die Pflanzen – und deren Aufbau, Lebenszyklus, Stoffwechsel, Wachstum, Inhaltsstoffe, aber auch ihre Ökologie und ihrem wirtschaftlichen Nutzen.
Ergänzt wird die botanische Taxonomie durch die Disziplin der botanischen Systematik, die versucht, Verwandtschaften zwischen Pflanzen zu ermitteln. In früheren Zeiten geschah das meist auf der Basis gemeinsamer äußerer Merkmale (z.B. Blattformen). Mittlerweile setzt man hierzu auch genetische Verfahren ein. So kann man z.B. Verwandtschaftsbeziehungen feststellen, wenn Pflanzen sich äußerlich nicht sehr ähnlich aussehen. Außerdem kann man es vermeiden, dass man äußerlich ähnliche Pflanzen derselben Gattung zuordnet, obwohl sie genetisch recht unterschiedlich sind.
Verbindet man Taxonomie mit Systematik, entsteht ein hierarchisches System, in dem alle Kategorien in systematischen Rängen angeordnet sind. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Ränge in der biologischen Taxonomie, mit einem Beispiel aus der Botanik und den deutschen Bezeichnungen für die einzelnen Hierarchiestufen. Zum besseren Verständnis von wissenschaftlichen Literatur bzw. englischsprachigen Erklär-Videos findet man in der Tabelle auch die entsprechenden lateinischen bzw. englischen Begriffe. Namen für Gruppen von Lebewesen zeigen im von Linné entwickelten System auf höheren Rangstufe bereits durch ihre Endungen an, auf welcher Hierarchiestufe die Gruppierung stattfindet. Daher enthält Tabelle 1 auch eine Spalte mit diesen Endungen.
Tabelle 1:
Deutsch | Englisch | Latein | Endung in botanischer Klassifikation | Beispiel:
botanische Klassifikation |
Beispiel: deutsche Übersetzung |
Domäne | domain | regio | Eukarya (Eukaryoten) | Lebewesen mit Zellkern | |
Reich | kingdom | regnum | -ae | Plantae | Pflanzen |
Abteilung | division/phylum | divisio | -phyta | Spermatophyta | Samenpflanzen |
Unterabteilung | sub-division | sub divisio | -phyta | Magnoliophyta (Angiospermae) | Bedecktsamer |
Klasse | class | classis | -opsida | Liliopsida (Monocotyledonae) | Einkeimblättrige Pflanzen |
Ordnung | order | ordo | -ales | Poales | Grasartige |
Familie | family | familia | -aceae | Poaceae | Süßgräser |
Gattung | genus | genus | Cymbopogon | Zitronengras | |
Art | species | species | (Cymbopogon) citratus | Westindisches Zitronengras |
Zu beachten ist, dass statt Abteilung und divisio(n) Termini sind, die man in der Botanik gebraucht. In der Zoologie verwendet man für dieselben Hierarchiestufen die Termini Stamm bzw. Phylum.
In Pflanzennamen findet man oft noch weitere Zusätze, z.B. für Subspecies, Varietäten etc. Tabelle 2 erklärt, wofür die gängigsten Abkürzungen stehen.
Tabelle 2: Abkürzungen in botanischen Pflanzennamen
Abkürzung | Terminus | Erklärung |
Abt. | Abteilung | Rangstufe in der botanischen Taxonomie, s. Tabelle 1 |
ssp. / subsp. | Subspecies | eine Unterart, z.B. die Unterarten der Melissa officinalis L.: Melissa officinalis subsp. inodora und Melissa officinalis subsp. officinalis |
var. | Varietät | eine natürliche Varietät (varietas) einer Art, z.B. eine „behaarte“ Varietät der Melisse: Melissa officinalis var. hirsuta K.Koch |
f. oder fo. | Form | eine kultivierte, d.h. nicht natürlich vorkommende Form (forma) einer Art, z.B. die beiden folgenden Formen der Hundsrose (Rosa canina Siev. ex Ledeb.): Rosa canina f. lucorum und Rosa canina f. pedunculipilosa; manchmal aber auch nur mit Hochkommata statt der Abkürzung, z.B. ‚Alba‘ für weiße Formen der entsprechenden Art |
cv. | Sorte, Cultivar | vgl. z.B. die Trauben-Katzenminze (Nepeta racemosa Lam.), von der einige Kultivare, d.h. gezüchtete Sorten verfügbar sind |
Weiterführende Literatur, Webseiten und Videos
- Eine kurze Einführung mit mehr Details als in Tabellen 1 und 2 gibt der „Zander“, das Standard-Handwörterbuch der Pflanzennamen. Literaturangaben zu diesem Buch sowie weitere Nachschlagewerke, unterhaltsame Bücher und sprachwissenschaftliche Studien zu botanischen Pflanzennamen und deutschen Trivialnamen für Pflanzen findet man in einem entsprechenden Beitrag auf dem Sprachspinat-Blog.
- Wer mehr zur Herkunft der botanischen Name und ihrer Bedeutung wissen möchte, findet relevante Infomationen in Helmut Genausts Buch „Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen“
- Gängige botanische Namen und eine kurze Einführung findet man im botanischen Wörterbuch für Gärtner und Floristen, herausgegeben vonHans Jessen und Helmut Schulze.
- Der Sprachspinat-Blog bietet auch einen Beitrag mit Online-Pflanzen-Lexika, ‑Datenbanken und Botanik-Webseiten. Einige davon liefern weitere Informationen zu botanischer Taxonomie und Pflanzennamen, z.B. die Hortipendium-Seite.
- Auf der Garten-Treffpunkt-Webseite findet man Erläuterungen zu botanischen Begriffen, historische Informationen (z.B. zu Linné) sowie eine Liste botanischer (Alpen-)Gärten und botanischen Museen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
- Eine YouTube-Playliste auf dem Sonja-Eisenbeiß-Kanal enthält eine Reihe von Videos zur Botanik, Taxonomie und Pflanzenbestimmung.
- Auf dem YouTube-Kanal Broadcast Biologie stellt die Universität Göttingen ihre deutschsprachigen und englischsprachigen Lehrvideos zur Biologie zur Verfügung. Dabei sind auch einige Videos zur Botanik und Pflanzenbestimmung.
- Codes zur Nomenklatur, eine Fachzeitschrift zur Taxonomie und weitere Informationen findet man auf der Webseite der International Association for Plant Taxonomy (IAPT).
- Auf Podcast.de findet man Listen mit deutschsprachigen Podcasts zur Botanik und Pflanzen, z.B. die Podcast-Serie Pflanzenbild, wo man einiges über die Entstehung und Klassifikation von Pflanzen lernen kann.
- Wer nach englischsprachigen Podcasts zur Botanik sucht, findet eine Liste solcher Podcasts bei Feedspot.
- Die deutsche botanische Gesellschaft hat eine Webseite, auf der man auch aktuelle Berichte aus der Forschung findet.
Mein persönlicher Sprachspinat-Tipp
Viele Bestandteile von botanischen Pflanzennamen geben uns bereits Informationen zur Pflanze. So findet man z.B. das lateinische Wort alba (= weiß) in Namen für Pflanzen mit weißen Blüten, das Wort alpinus in Pflanzennamen für Gebirgspflanzen oder das Wort procumbens (von procumbere = sich vorbeugen oder (nieder)legen, ). Das Wort praecox wird in Namen für Frühblüher verwendet und das Wort officinalis in Bezeichnungen für Heilpflanzen (z.B. Melissa officinalis L.). Dementsprechend gibt es viele Publikationen bzw. Listen mit Bestandteilen von Pflanzennamen, die auf Farben, Vorkommensgebiete, Formen oder andere Pflanzeneigenschaften verweisen:
- Für ausführlichere Listen empfehlen sich zwei Bücher:
- Bird, Richard & Stefan Leppert. 2016. Gärtner-Latein. Von den Geheimnissen der Pflanzennamen. München: Deutsche Verlagsanstalt.
- Harrison, Lorraine, Wiebke Krabbe & Franz Leipold. 2014. Latein für Gärtner: Über 3.000 botanische Begriffe erklärt und erforscht. Köln: DuMont Buchverlag.
- Auf der Webseite der Zeitschrift mein schöner Garten findet man einen frei zugänglichen Artikel mit botanischen Farbbezeichnungen und ihren Bedeutungen (z.B. alba = weiß).
- Die Iowa State University bietet eine kostenlos zugängliche Liste von lateinischen Pflanzennamenbestandteilen und ihren englischen Übersetzungen.
Mit Hilfe dieser Bücher und Listen kann man sich selbst Lernhilfen oder Spiele zum Lernen botanischer Namen bzw. lateinischer Begriffe erstellen. So kann man z.B. ein Memo(ry)-Spiel gestalten, bei dem man Paare aus Kärtchen mit botanischen Namen und passenden Pflanzenbildern finden muss, z.B. ein Bildkärtchen einer weiß-blühenden Pflanze und ein Kärtchen mit dem botanischen Namen dieser Pflanze, in dem das lateinische Wort alba vorkommt. Dabei kann man die Karten selbst basteln, das Spiel in Powerpoint umsetzen oder eine webbasierte Anwendung in H5P implementieren, wo man ein interaktives Memo-Spiel gestalten und in Webseiten oder aber auch in Lernumgebungen wie Moodle oder Ilias einbauen kann. Kostenlose Bilder, die man frei verwenden kann, findet man online mit entsprechenden Suchen.
Weitere Artikel zum Thema dieses Blogbeitrags findet man auf dem Sprachspinat-Blog mit den Tags Pflanzennamen bzw. Botanik..Demnächst werden z.B. Artikel zu Pflanzennamen mit dem Wotbestandteil Zitrone erscheinen (Zitronenmelisse, Zitronengras, Zitronenkraut, Zitronenverbene etc.).
Viel Spaß beim Pflanzennamen-Lernen und beim Spielen!