Language Games Club: Vortrag von Natalia Gagarina zur spielerischen Sprachförderung, -therapie und -diagnostik

Online-Spiele auf der FREPY-WebseiteOnline-Spiele auf der FREPY-Webseite

Am 4. März 2025 hatten wir mal wieder ein Zoom-Meeting mit dem internationalen Language Games Club. Diesmal hat uns Natalia Gagarina vom ZAS in Berlin zwei Projekte mit wichtigen Tools für die pädagogische, sprachtherapeutische und psycholinguistische Praxis vorgestellt: „Freundliche Ressourcen für eine spielerische Sprachtherapie“ (FREPY) und „Sprachdiagnostik mehrsprachiger Kinder: Validierung einer Testbatterie“ (SPEAK). Im heutigen Blogbeitrag erfährt man mehr über den Language Games Club, über Natalia Gagarinas Rolle darin und über die Tools und Projekte, die sie vorgestellt hat. Außerdem gibt es – wie immer auf dem Sprache-Spiel-Natur.de-Blog – auch einen persönlichen Sprachspinat-Tipp zur Verbindung von Sprachbildung, Naturbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Diesmal geht es um die nachhaltige Gestaltung von Sprachspielmaterialien für die Erhebung von Daten in Spracherwerbsprojekten.

Inhalt

Der Language Games Club bei einem Event mit der Colchester Toy Library

Der Language Games Club mit Teilen des Language in a Bag Toolkits bei einem Event mit der Colchester Toy Library

Der internationale Language Games Club

Der internationale Language Games Club geht auf den Essex Language Games Club zurück, den ich für Studierende und Lehrende in der Abteilung für Sprachwissenschaft und moderne Sprachen an der University of Essex in den UK gegründet hatte. Ich hatte für Forschungszwecke schon lange Spiele verwendet, um natürliche Kommunikationssituationen zu schaffen, in denen man Sprachaufnahmen von spracherwerbenden Kindern und ihren Eltern oder anderen Menschen machen konnte (s.u. für Literaturangaben). Dabei sollten die Spiele dafür sorgen, dass vergleichbare und gleichzeitig unterhaltsame Aufnahmesituationen für die einzelnen Kinder geschaffen wurden. Außerdem waren die Spiele so gestaltet, dass die teilnehmenden Personen größere Mengen der sprachlichen Strukturen und Formen produzierten, die in der jeweiligen Studie untersucht wurden. So gab es z.B. Spiele zur Untersuchung von Possessivkonstruktionen wie Susis Fahrrad, ihr Fahrrad oder das Fahrrad von Susi. In diesen Spielen ginge es darum, Personen ihre jeweiligen Kleidungsstücke oder andere Besitztümer zuzuordnen.

Aus solchen Spielen ergaben sich viele Projekte mit meinen Studierenden und anderen Forschenden. Daher organisierte ich von 2014 bis 2016 regelmäßige informelle Treffen im Institut in Essex, um über geplante, laufende oder gerade abgeschlossene Projekte zu sprechen, gemeinsam Studien mit Sprachspielen zu diskutieren und Sprachspielmaterialien zu entwickeln. Daraus ergaben sich auch ehrenamtliche Events, z.B. mit der inklusiven Colchester Toy Library oder mit der generationenverbindenden Organisation Friends and Neighbours. Außerdem haben wir mit dem lokalen Repair Café zusammen in der städtischen Bibliothek Spielmaterialien aus Textilresten genäht.

Nähen von Spielzeug zur Sprachdatenerhebung mit dem Essex Language Games Club und Chris Blomeley von Wivenhoe Repair Reuse Recycle

Nähen von Spielzeug zur Sprachdatenerhebung mit dem Essex Language Games Club und Chris Blomeley von Wivenhoe Repair Reuse Recycle

Es gab auch Ausflüge zum Londoner Toy Fair und Events mit Forschenden, die uns gerade besuchten, z.B. mit einer Gruppe von der JNU-University in New Delhi. Außerdem gab es auch einen Sprachspielwettbewerb, bei dem Natalia Gagarina als eine der Schiedsrichterinnen eingeladen war.

Sprachspielwettbewerb an der University of Essex mit Natalia Gagarina (2. v.r.) als Schiedsricherin

Sprachspielwettbewerb an der University of Essex mit Natalia Gagarina (2. v.r.) als Schiedsricherin

Informationen zum Language Games Club und zu seiner Auszeichnung mit dem Excellence Award der Universität Essex bietet mein alter Blog „Language Games for all“. Dort findet man auch Literatur- und Webseitenlisten und weitere Informationen zu Sprachspielen.

Nach meinem Wechsel an die Universität zu Köln (2016) gab es zunächst nur gelegentliche Treffen mit ehemaligen Mitgliedern des Essexer Language Games Clubs. 2021 haben wir dann angefangen, und in unregelmäßigen Abständen online und gelegentlich auch in Köln zu treffen. Dabei hat sich der Kreis um Forschende und Studierende aus verschiedenen Ländern erweitert. Dazu gehört auch Natalia Gagarina, da sie selbst an der Entwicklung und Publikation von spielerischen Verfahren zur Datenerhebung in der Spracherwerbsforschung und an spielerischen Tests zur Sprachdiagnostik arbeitet.

Language Games Club im Wintersemester 2014

Language Games Club im Wintersemester 2014

Die Sprachen im FREPY-Projekt

Die Sprachen im FREPY-Projekt

Das Projekt „Freundliche Ressourcen für eine spielerische Sprachtherapie“ (FREPY)

Das erste von Natalia Gagarina vorgestellte Projekt „Freundliche Ressourcen für eine spielerische Sprachtherapie“ (FREPY) dient der Förderung der Bildungschancen von Kindern mit Sprachstörungen oder -rückständen. Es bietet gezielte Sprachförderung und Therapie für ein- und mehrsprachige Kinder im Alter von 4 bis 8 Jahren, um ihre allgemeine Sprachentwicklung sowie ihre Literacy- und Erzählfähigkeiten frühzeitig zu entwickeln. Dadurch erhalten sie bessere Möglichkeiten, von der schulischen Bildung zu profitieren und später eine erfolgreiche Karriere aufzubauen.

Zu den wichtigsten Ergebnissen gehören interaktive und multifunktionale Materialien für die Sprachförderung in vier Sprachen: Deutsch, Litauisch, Estnisch, und Slowenisch. Das Projekt nutzt spielerische Elemente wie Rätsel, Bildergeschichten und animierte Figuren, um Kindern mit Sprachproblemen zu helfen, Kommunikationsbarrieren zu überwinden und Sprachrückstände schneller aufzuholen. Außerdem bietet es kurze Tests zur Selbsteinschätzung, basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und verfolgt einen innovativen methodischen Ansatz.

Das Projekt trägt dazu bei, begrenzte Ressourcen in den beteiligten Sprachen zu erweitern und sprachliche Defizite durch die Integration aktueller Forschungsergebnisse zu verringern. Zudem leistet es einen Beitrag zur Lehrkraftausbildung, indem es methodische Leitlinien bereitstellt und den Austausch bewährter Praktiken fördert. Insgesamt verbessert das Projekt die Sprachkompetenz der Kinder, unterstützt ihre Lernmotivation und erhöht das öffentliche Bewusstsein für Sprachstörungen oder Sprachrückstände, die man besonders bei mehrsprachigen Kindern in frühen Stadien des Spracherwerbs beobachtet und mit gezielter Sprachförderung aufholen kann.

Mehr Informationen bieten Vortragsfolien zum Projekt,die Nathalie Topaj, die ebenfalls am Projekt FREPY aktiv beteiligt war, zum Download bereitgestellt hat.

Viele Spiele auch in der Gruppe oder am Tisch gespielt werden. Die Spiele liegen im Druckformat als Teil der FREPY-Kiste vor (Kontakt über Natalia Gagarina). Digitale Spiele wurden in ein neues Format übertragen, wobei der Ton in Moment nicht funktioniert. So kann man zurzeit einige Spiele spielen, wenn das Kind schon selbst lesen kann oder mit einer Begleitperson, die vorliest bzw. erklärt.

Die Webseite des SPEAK-Projekts

Die Webseite des SPEAK-Projekts

Das Projekt „Sprachdiagnostik mehrsprachiger Kinder: Validierung einer Testbatterie“ (SPEAK)

Neben FREPY hat Natalia Gagarina auch das aktuelle Projekt „Sprachdiagnostik mehrsprachiger Kinder: Validierung einer Testbatterie“ (SPEAK) vorgestellt. Da immer mehr Kinder in Deutschland mehrsprachig aufwachsen, müssen Sprachdiagnostiktests entwickelt werden, die für diese Kinder geeignet sind. Solche Tests müssen berücksichtigen, dass mehrsprachige Kinder das Deutsche parallel oder zeitversetzt zu einer anderen Erstsprache erwerben. Das geschieht nicht immer auf dieselbe Weise: Manche Kinder hören und sprechen von Anfang an sehr viel Deutsch, andere weniger oder erst dann, wenn sie bereits mehrere Jahre alt sind. Daraus ergibt sich eine große Bandbreite an sprachlichen Leistungen im Deutschen und den weiteren Sprachen mehrsprachiger Kinder. Wenn die Entwicklung des Deutschen bei einigen mehrsprachigen Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter hinter der Entwicklung gleichaltriger einsprachiger Kinder zurückbleibt, braucht das Kind vielleicht einfach nur mehr qualitativ hochwertigen Input für das Deutsche, mehr Gelegenheiten zum Deutschsprechen und mehr sprachförderndes Feedbach. In solchen Fällen liegt ein Förderbedarf vor, für den das Bildungswesen verantwortlich ist. Es kann aber auch sein, dass das Kind eine klinische Sprachstörung aufweist. Solche Sprachstörungen treten unabhängig von der Ein- bzw. Mehrsprachigkeit von Kindern auf und erfordern eine Sprachtherapie, was in die Zuständigkeit des Gesundheitswesens fällt. Mehr Informationen zur Abgrenzung von Sprachförderung, Sprachtherapie und Sprachbildung findet man auf einem früheren Beitrag auf dem Sprache-Spiel-Natur.de-Blog.

Das SPEAK-Projekt erprobt nun eine Testbatterie für mehrsprachige Kinder im Alter von 4-8 Jahren (TEBIK 4-8). Die einzelnen Tests beruhen auf langjährigen Studien und sollen zwischen Förderbedarf und Therapiebedarf unterscheiden. Dazu berücksichtigen diese Tests systematisch die Erwerbsbedingungen mehrsprachiger Kinder und erfassen sprachliche Fähigkeiten in den Bereichen Lautsystem (Phonologie), Wortschatz (Lexikon), Grammatik (Morphosyntax) und Erzählfähigkeiten (Narration). So soll sichergestellt werden, dass zwischen Sprachtherapie- und Sprachförderbedarf unterschieden wird und ein Kind, das nicht die altersgemäßen Standards in der Bildungssprache Deutsch erreicht, die angemessene Form von Unterstützung erhält. Der TEBIK-Test soll als Serious Game erscheinen, d.h. als ein (Online-) Spiel mit nützlicher Anwendung.

Im Vortrag von Natalia Gagarina konnten wir einen ersten Einblick in die Testbatterie erlangen und sahen, wie spielerisch und kindgerecht die Tests gestaltet sind. Eltern von mehrsprachigen Kindern, die zur Studie beitragen möchten, finden Informationen in mehreren Sprachen auf der Projektwebseite.

 

Eltern-Informationen des SPEAK-Projekts

Eltern-Informationen des SPEAK-Projekts

Mein persönlicher Sprachspinat-Tipp

Das von mir entwickelte Language in a Bag Toolkit für inklusive Spiele zur Sprachforschung und -förderung ist ein Beispiel dafür, wie man Sprachspielmaterialien für die Erhebung von Daten in Spracherwerbsprojekten nachhaltig designen kann. Das Toolkit ist modular gestaltet, so dass man verschiedene Spiele damit gestalten kann, z.B. ein Versteckspiel mit einer Tasche mit aufgenähten Beuteln, Memory-Spiele, Matching-Spiele etc.

Teile des Toolkits bei einem Event an der Universität zu Köln (2018)

Teile des Toolkits bei einem Event an der Universität zu Köln (2018)

Erste Versionen von Teilen des Toolkits habe ich zusammen mit Studierenden und meiner Kollegin Emma Hopper aus gebrauchten Textilien, Tagungs-IDs und (gebraucht gekauften) Lego hergestellt. Dazu haben wir u.a. Treffen des Language Games Clubs genutzt. Einige dieser Meetings haben wir zusammen mit dem lokalen Repair Café in der Stadtbibliothek abgehalten, so dass wir bei diesem Treffen mit Menschen ins Gespräch kommen konnten, die diese Bibliothek besuchten. Das Toolkit habe ich nach meinem Weggang aus Essex noch modularer gemacht und um weitere Komponenten erweitert, u.a. um ein „Zauber“-Cape mit Klettband, das auch als Decke, Kissen etc. dienen kann. Außerdem habe ich die Herstellung noch stärker vereinfacht. Das Toolkit kann jetzt als Teil des Sprachspinat-Garten-Konzepts eingesetzt werden, insbesondere als Tasche zum Transport der Spielzeuge für die WuPf-Wurmkompost-Pflanzenkiste.