Der heutige Beitrag befasst sich mit der Sprachenvielfalt im deutschen Bildungssystem.
Inhalt:
- Befunde zur Sprachverwendung in deutschen Haushalten
- Die Deutschland-Erhebung 2017 des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache
- Publikationen zur Sprachstatistik in Deutschland
- Herkunftssprachlicher Unterricht in den einzelnen Bundesländern
- Deutsche Dialekte und Varietäten
- Praxisorientierte Beschreibungen von Sprachen in deutschen Klassenzimmern
- Mein persönlicher Sprachspinat-Tipp
Beim heutigen Sprachspinat-Tipp zur Verbindung von Sprachbildung, Naturbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung geht es um die Gestaltung von Sprachenporträts, mit denen man die sprachliche Vielfalt im Klassenzimmer sehr gut visuell darstellen kann – wenn man möchte, auch mit Hilfe von Pflanzen.
Weitere Sprachbeschreibungen und andere Informationen zu einer Vielzahl von Sprachen findet man in einem Blogbeitrag zu den Sprachen und Sprachfamilien der Welt. Dieser Beitrag und der heutige Beitrag tragen den Tag „Sprachenvielfalt„.Weitere Beiträge zu diesem Thema sind geplant und lassen sich durch Klicken auf diesen Tag leicht finden.
Befunde zur Sprachverwendung in deutschen Haushalten
Bislang liegen keine zuverlässigen Daten zu den Sprachen vor, die Kinder und Jugendliche in Deutschland verwenden – und mit in ihre jeweiligen Klassenzimmer bringen. Erste Hinweise geben allerdings Befunde zu den Sprachen, die in deutschen Haushalten verwendet werden. Das Statistische Bundesamt (Destatis) erhebt hierzu im Rahmen seines Mikrozensus quantitative Daten. Für aktuelle Daten vgl. die Pressemitteilung Nr. N008 vom 20. Februar 2024: Mehr als drei Viertel der Menschen mit Einwanderungsgeschichte sprechen zu Hause Deutsch. Wichtige Befunde auf der Basis der letzten ausgewerteten Erhebung (2022) waren:
- Von den selbst nach 1950 eingewanderten Personen sprachen 73 % zu Hause Deutsch. Für 21 % von ihnen war Deutsch dabei zu Hause die einzige Sprache. 52 % verwendeten neben dem Deutschen noch eine weitere Sprache. Bei 27 % der Eingewanderten wurde Deutsch daheim nicht zur Kommunikation genutzt.
- Mehr als 90 % der direkten Nachkommen von zwei selbst eingewanderten Elternteilen sprachen daheim Deutsch. 34 % dieser Nachkommen verwendeten dabei ausschließlich Deutsch, 58 %Deutsch und eine andere Sprache und knapp 9 % benutzten zu Hause gar kein Deutsch.
- 72 % der Personen mit nur einem eingewanderten Elternteil sprachen ausschließlich Deutsch zu Hause. 27 % sprachen daheim neben Deutsch noch eine weitere Sprache.
- Personen, die zu Hause vorwiegend eine andere Sprache als Deutsch benutzten, verwendeten am häufigsten Türkisch (14 %), Russisch (12 %), Arabisch (10 %), Polnisch (7 %), Englisch (6 %) und Rumänisch (5 %).
- Menschen mit Einwanderungsgeschichte machten knapp ein Viertel der Bevölkerung aus. 79 % von ihnen sprachen zu Hause ausschließlich Deutsch,16 % nutzen daheim neben Deutsch noch mindestens eine weitere Sprache, knapp 6 % sprachen im Haushalt kein Deutsch.
Wer an den jeweils aktuellsten Daten und mehr Details interessiert ist, findet auf der Destatis-Webseite regelmäßig neue statistische Berichte zu den Themen Migration und Integration, z.B. Zahlen zu Einbürgerungen, zur Einwanderungsgeschichte oder zur Verwendung von Sprachen im Haushalt (bei Menschen mit und ohne Migrationshintergrund).
Das Pew Research Center hat in seinem Topline-Questionnaire (2019) ebenfalls Daten zu den Sprachen in deutschen Haushalten erhoben. Dabei wurden Deutsch (90%), Türkisch (2%) und Arabisch (1%) am häufigsten genannt (6% andere Sprachen).
- Devlin, K. (2020). Languages spoken at home. Pew Research Center.
Die Deutschland-Erhebung 2017 des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache
Die Deutschland-Erhebung 2017 des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache (IDS) befragte 4.380 repräsentativ ausgewählte Personen zu ihrem Sprachrepertoire und ihren Spracheinstellungen. Dabei nannten 85,3 % nur Deutsch als Muttersprache und 1,8 % Deutsch und eine bzw. mehrere weitere Sprachen. 12,9 % der Befragten gaben eine oder mehrere andere Sprachen als Deutsch als Muttersprachen an. Dabei wurden sehr viele verschiedene Sprachen genannt, die meisten von weniger als zehn Befragten. Mindestens 30-mal angegeben wurden lediglich sieben Sprachen: Russisch, Türkisch, Polnisch, Englisch, Italienisch, Spanisch und Rumänisch. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die großen aktuellen Migrationsbewegungen durch eine Haushaltserhebung im Jahr 2017 noch nicht erfasst werden konnten.
Publikationen zur Sprachstatistik in Deutschland
Die folgenden Publikationen bieten einen Überblick auf die verfügbaren Sprachstatistiken für das deutsche Bildungssystem. Dabei wird meist die Forderung nach detaillierteren und systematischeren Datenerhebungen laut. Außerdem erfährt man in der Publikation von Adler und Silveira (2021a) auch etwas über Dialekte in Deutschland.
- Adler, A. (2019). Sprachstatistik in Deutschland. Deutsche Sprache, 47(3), 197-219.
- Adler, A. (2023). Die Erhebung von Sprachen im deutschen Mikrozensus. Amtliche Statistiken über Sprachen in Deutschland: Folge 1. Sprachreport, 39(4), 20-29. https://doi.org/10.14618/sr-4-2023_adl
- Adler, A., & Ribeiro Silveira, M. (2021a). Welche Dialekte werden in der Familie weitergegeben? Sprache in Zahlen: Folge 3. Sprachreport, 37(2), 42-44. https://doi.org/10.14618/sr-2-2021-adle
- Adler, A., & Ribeiro Silveira, M. (2021b). Welche Sprachen werden in Deutschland gesprochen? Sprache in Zahlen: Folge 4. Sprachreport, 37(3), 1-5. https://doi.org/10.14618/sr_3-2021
Herkunftssprachlicher Unterricht in den einzelnen Bundesländern
In den meisten Bundesländern wird mittlerweile herkunftssprachlicher Unterricht erteilt. Eine Untersuchung des Mediendienstes Integration zu den Schuljahren 2020/2021 und 2021/2022 kam dabei zu folgendem Ergebnis:
- 12 der 16 deutschen Bundesländer boten staatlichen Unterricht in Herkunftssprachen an.
- In 7 Ländern gab es parallel dazu Sprachunterricht durch konsularische Vertretungen.
- In Bayern und Baden-Württemberg wurde nur Konsulatsunterricht angeboten.
Ein Factsheet mit recht detaillierten Statistiken zu den einzelnen Bundesländern und Sprachen findet man auf der Webseite des Mediendienstes Integration. Hier werden für den Konsulatsunterricht Listen mit Herkunftsländern und für den staatlichen Unterricht Listen mit Sprachen angegeben. Dabei werden die folgenden Länder bzw. Sprachen genannt:
- Herkunftsländer (Konsulatsunterricht)
Albanien, Bosnien-Herzegowina, Griechenland, Iran, Italien, Kosovo, Kroatien, Mazedonien, Polen, Portugal, Serbien, Slowenien, Spanien, Türkei, Tunesien, Ungarn - Sprachen (staatlicher Unterricht)
Arabisch, Aramäisch, Armenisch, Bulgarisch, Chinesisch, Farsi/Persisch, Französisch, Japanisch, Kurdisch, Kurmanci, Mazedonisch, Niederländisch, Polnisch, Romanes, Rumänisch, Russisch, Sorani, Spanisch, Thai, Tschechisch, Türkisch, Twi. Ukrainisch, Vietnamesisch, Zazaisch
Zu beachten: Bei der Sprachbezeichnung Kurdisch ist nicht immer klar, welche Sprache gemeint ist. Es gibt drei kurdische Sprachen oder Hauptdialektgruppen: Kurmandschi (Nordkurdisch), Sorani (Zentralkurdisch) und Südkurdisch. Zwei dieser drei Sprachen werden neben der generellen Bezeichnung Kurdisch separat aufgeführt.
Deutsche Dialekte und Varietäten
Wenn es um Sprachenvielfalt in deutschen Klassenzimmern geht, sollte man die deutschen Dialekte und Varietäten nicht vergessen. Einen guten Überblick über deutsche Dialekte bietet der dtv-Atlas Deutsche Sprache. Zur theoretischen Diskussion s. Dürscheid und Schneider (2019). Darüber hinaus gibt es pädagogische Werke, die sich auf Dialekte im Unterricht beziehen, z.B. Janle und Klausmann (2020). Zur Unterscheidung zwischen Alltagssprache, Bildungssprache und Fachsprache siehe einen früheren Blogbeitrag.
- König, W., Elspaß, S., & Möller, R. (2019). dtv-Atlas: Deutsche Sprache (19., überarbeitete und korrigierte Auflage. dtv.
- Janle, F., & Klausmann, H. (2020). Dialekt und Standardsprache in der Deutschdidaktik: eine Einführung. Narr Francke Attempto Verlag.
- Dürscheid, C., & Schneider, J. G. (2019). Standardsprache und Variation. Narr Francke Attempto Verlag.
Deutsche Mundarten (nach Peter Wiesinger[1]) mit den folgenden dialektalen Großgruppen:
Niederfränkisch
1. Kleverländisch oder Niederrheinisch (in einem engeren Sinne)
Friesisch
2. Saterländisch
3. Nordfriesisch
Niederdeutsch
4. Westfälisch
5. Nordniedersächsisch
6. Ostfälisch
7. Mecklenburgisch-Vorpommersch
8. Brandenburgisch
9. Mittelpommersch
Mitteldeutsch
10. Ripuarisch
11. Luxemburgisch
12. Moselfränkisch
13. Rheinfränkisch
14. Zentralhessisch
15. Nordhessisch
16. Osthessisch
17. Thüringisch
18. Nordobersächsisch
19. Südmärkisch
20. Obersächsisch
Oberdeutsch
21. Oberfränkisch
22. Nordbairisch
23. Zentralbairisch
24. Südbairisch
25. Schwäbisch
26. Niederalemannisch
27. Mittelalemannisch
28. Hochalemannisch
29. Höchstalemannisch
Anmerkung: In dieser Karte werden deutsche Dialekte definiert als alle vom Standarddeutschen überdachten westgermanischen Sprachvarietäten. Der Bereich, in dem simultan zwei Dachsprachen benutzt werden (Luxemburgisch und Deutsch), ist schwarz-weiß umrandet. “ (https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Dialekte)
Praxisorientierte Beschreibungen von Sprachen in deutschen Klassenzimmern
Bücher
- Harr, A. K., & Riehl, C. M. (2018). Deutsch als Zweitsprache: Migration–Spracherwerb–Unterricht. Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05595-8
Im Mittelpunkt stehen die Beschreibung des Deutschen und pädagogische Fragen. In Kapitel 9 dieses Buches wird das Deutsche aber kontrastiv beschrieben mit anderen Sprachen, die im deutschen Bildungssystem aufgrund von Migration häufiger vorkommen. Dabei ist das Kapitel nicht nach Sprachen, sondern nach sprachlichen Phänomenen geordnet. - Hoffmann, L., Kameyama, S., Riedel, M. Sahiner, P. & Wulff, N. (Hrsg.) (2017). Deutsch als Zweitsprache. Ein Handbuch für die Lehrerausbildung. Erich Schmitt Verlag.
In Kapitel 3 findet man separate Unterkapitel für einige Sprachen, die im deutschen Bildungssystem häufig anzutreffen sind: Türkisch, Russisch, Polnisch, Arabisch, Albanisch, Japanisch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch - Krifka, M., Blaszczak, J., Leßmöllmann, A., Meinunger, A., Stiebels, B., Tracy, R. & Truckenbrodt, H. (Hrsg.) (2014). Das mehrsprachige Klassenzimmer. Über die Muttersprachen unserer Schüler. Springer VS.
Das Buch enthält Kapitel mit Beschreibungen zum Deutschen und den folgenden Sprachen: Deutsch, Polnisch, Tschechisch, Englisch, Türkisch, Arabisch, Hebräisch, Persisch, Kurdisch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, Bulgarisch, Russisch, Ukrainisch, Vietnamesisch, Chinesisch, Japanisch, Koreanisch, Hindi, Urdu, Romani, Französisch, Italienisch, Rumänisch, Spanisch, Portugiesisch, Albanisch, Griechisch - Schader, B. (2013). Deine Sprache – Meine Sprache: Handbuch zu 14 Migrationssprachen und Deutsch: Für Lehrpersonen an mehrsprachigen Klassen und für den DaZ-Unterricht. Lehrmittelverlag.
In diesem Handbuch findet man Beschreibungen zu den folgenden Sprachen: Albanisch, Arabisch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch/Montenegrisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Kurdisch, Mazedonisch, Portugiesisch, Russisch, Spanisch, Tamil, Thai, Türkisch
Webseiten
- Deutsch unterrichten mit Lingo und Parla (Projekt MehrSprachen im Deutschunterricht)
- ProDaZ-Kompetenzzentrum
Mein persönlicher Sprachspinat-Tipp
Wer die Sprachenvielfalt im Klassenzimmer visuell darstellen möchte, kann Sprachenporträts von allen beteiligten Kindern, Jugendlichen und Lehrkräften erstellen. Dazu füllt man die Umrisslinie eines Menschen mit Farben für die einzelnen Sprachen, die im Leben der betreffenden Person eine Rolle spielen. Zwei solcher Sprachenporträt findet man im heutigen Blogbeitrag. Wer mehr über Sprachenporträts und ihre Verwendung zur Erfassung der Sprachenvielfalt im Klassenzimmer erfahren will, kann dies in den folgenden Publikationen tun:
- Carbonara, V. (2023). The effects of multilingual pedagogies on language awareness: A longitudinal analysis of students’ language portraits. Linguistics and Education, 78, 101244.
- Gogolin, I. (2015). Die Karriere einer Kontur – Sprachenportraits. In I. Dirim, I. Gogolin, D. Knorr, M. Krüger-Potratz, D. Lengyel, H. H. Reich & W. Weiße (Eds.), Impulse für die Migrationsgesellschaft. Bildung, Politik und Religion (pp. 294-304). Waxmann.
- Göksel, E., & Elif, K. C. (2024). Exploring the potential of language portraits with refugees and migrants. In E. Piazzoli, & F. Dalziel (Eds.), Performative Language Learning with Refugees and Migrants (pp. 91-103). Routledge.
- Kusters, A., & De Meulder, M. (2019). Language Portraits: Investigating Embodied Multilingual and Multimodal Repertoires. Forum Qualitative Sozialforschung Forum: Qualitative Social Research, 20(3). https://doi.org/10.17169/fqs-20.3.3239
- Lau, S. M. C. (2016). Language, identity, and emotionality: Exploring the potential of language portraits in preparing teachers for diverse learners. The New Educator, 12(2), 147-170.
- Melo-Pfeifer, S. (2017). Drawing the plurilingual self: how children portray their plurilingual resources. International Review of Applied Linguistics in Language Teaching, 55(1), 41-60.
- Soares, C., Duarte, J., and Günther-van der Meij, M. (2021). Red is the colour of the heart’: Making young children’s multilingualism visible through language portraits. Language and Education 35(1), 22–41. DOI:10.1080/09500782.2020.1833911.
- Stavrakaki, A., & Manoli, P. (2023). Exploring migrant students’ attitudes towards their multilingual identities through language portraits. Societies, 13(7), 153.
Verschiedene Vorlagen zum Zeichnen von Sprachporträts findet man hier:
In einem früheren Blogbeitrag hatte ich bereits das oben abgebildete Sprachenporträt für mich selbst gezeichnet. Außerdem hatte ich in jenem Beitrag auf die Möglichkeit hingewiesen, ein Sprachporträt als (ein Beet) mit Pflanzen zu gestalten. Wer keine solche Möglichkeit hat, kann beim Erstellen von Sprachenporträts trotzdem Sprachbildung, Naturbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung verbinden. Man kann die Umrisszeichnungen nämlich direkt mit Pflanzen malen, indem man grüne Blättern oder bunte Blüten über ein Blatt dickeres und robustes Papier reibt und so den farbigen Pflanzensaft auf das Papier überträgt. Alternativ kann man selbst aus Pflanzen lange haltbare Farbpigmente für das Anrühren von Pflanzenfarben oder Tinten herstellen. Hierzu muss man stark färbende Pflanzenteile einweichen, mit Alaun (auch „Kaliumaluminiumsulfat“) zur Farbfixierung aufkochen und das gefärbte Wasser mit einem Feststoff vermischen und einkochen (z.B. mit Farbenleim, Milchzucker oder Kieselerde). Das Resultat trocknet und zermahlt man anschließend. Eine Anleitung findet man z.B. bei Planet Wissen. Eine einfachere Anleitung zum Herstellen von Malfarbe aus Pflanzen, bei der man keine getrockneten Pigmente herstellen muss, findet man bei Utopia.
Viel Spaß beim Sprachporträtmalen!
P.S.: Ich danke Nora von Dewitz für Literaturtipps.