Der heutige Blogartikel bietet eine Liste von Forschungszentren und wissenschaftlichen Netzwerken im deutschsprachigen Raum, die sich mit dem Thema Mehrsprachigkeit (oder Multilingualismus) befassen.
In der aktuellen Diskussion zum Thema Mehrsprachigkeit werden oft hitzige Debatten über potenzielle Vorteile oder Probleme des Erwerbs mehrerer Sprachen geführt. Dabei geht es zum einen um das Lernen von Sprachen in der Schule und anderen pädagogischen Einrichtungen, z.B. um den „richtigen“ Zeitraum für den Beginn des Fremdsprachunterrichts oder die verschiedenen Möglichkeiten der Sprachförderung für neu zugewanderte Kinder, die eine neue Sprache erlernen müssen. Zum anderen wird diskutiert, welche individuellen und gesellschaftlichen Konsequenzen es hat, wenn Kinder schon früh in der Familie Sprachen erwerben, die nicht die Sprache sind, in der ihr Unterricht und gesellschaftliche oder politische Prozesse ablaufen. Beispielsweise debattiert man, ob es Vorteile für die kognitive Entwicklung hat oder Kinder eher verwirrt, wenn sie mehrere Sprachen im Kindheitsalter erwerben. Außerdem befasst man sich mit der Rolle der Sprache bei der Integration von Menschen mit Migrationsgeschichte.
Um eine solide empirische Basis für solche Diskussionen zur Mehrsprachigkeit zu schaffen, benötigt man wissenschaftliche Zentren und internationale Netzwerke. Nur mit ihnen ist es möglich, größere und detailliertere Studien und Analysen durchzuführen. Außerdem sorgen solche Zentren und Netzwerke für die Verbreitung von Forschungsergebnissen in relevanten politischen Gremien und in der Gesamtgesellschaft. Hierzu dienen u.a. Faktenchecks, Tagungen, Fortbildungsreihen (z.B. für Lehrkräfte), populärwissenschaftliche Bücher, Artikel in Zeitschriften und Zeitungen sowie Informationsveranstaltungen für Eltern, pädagogische Fachkräfte und Menschen, die in politischen Gremien oder sozialen Organisationen Entscheidungen treffen müssen. Darüber nutzen Forschungszentren und -Netzwerke Newsletter oder soziale Medien als Informationskanäle.
Wer sich für wissenschaftliche Veröffentlichungen interessiert, findet auf dem Sprachspinat-Blog bereits eine Liste mit Handbüchern, Einführungstexten, Fachzeitschriften und wissenschaftlichen Buchreihen zur Mehrsprachigkeit. Die heutige Liste mit Webseiten von Zentren und Netzwerken ergänzt dies. Sie ermöglicht es, herauszufinden, wo in der eigenen Region Forschung betrieben wird, wie man selbst gegebenenfalls daran teilnehmen kann, und wo und wann öffentliche Informationsveranstaltungen stattfinden. Außerdem kann man auf den Webseiten meist Links zu Newslettern oder Social-Media-Kanälen finden, um regelmäßig Informationen über laufende Forschungsprojekte und deren Ergebnisse zu erhalten.
Natürlich gibt es auch im heutigen Blogbeitrag einen persönlichen Sprachspinat-Tipp zur Verbindung von Sprachbildung. Naturbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Diesmal geht es um die Möglichkeit, an Studien zur Mehrsprachigkeit von Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen teilzunehmen – selbst wenn man sich selbst nicht als mehrsprachig versteht.
Webseiten von universitären Zentren und Instituten zur Mehrsprachigkeit
Die folgenden Zentren und Institute sind in deutschsprachigen Ländern angesiedelt und befassen sich wissenschaftlich mit dem Thema Mehrsprachigkeit. Sie machen ihre Erkenntnisse aber auch durch Vorträge, Workshops, Videos, Veröffentlichungen, Newsletter und soziale Medien der breiten Öffentlichkeit zugänglich. Außerdem bieten ihre Webseiten weitere Informationen zur Mehrsprachigkeit und Verweise auf kooperierende Institute, Organisationen und Netzwerke im nicht-deutschsprachigen Raum.
- Berlin: Berliner Interdisziplinärer Verbund für Mehrsprachigkeit (BIVEM; Verbund mehrerer Institute und Organisationen, die sich wissenschaftlich, politisch, pädagogisch oder administrativ mit Mehrsprachigkeit befassen)
- Wissenschaftliche Veröffentlichungen
- Infomaterialien (Flyerreihe) in mehreren Sprachen
- Informations- und Fortbildungsveranstaltungen
- Beratung zur mehrsprachigen Erziehung und zum Spracherwerb allgemein
- Medienbeiträge
- Bochum: Ruhr-Zentrum Mehrsprachigkeit (RZM)
- Duisburg/Essen: ProDaZ-Kompetenzzentrum
- Frankfurt: Fachbereich Literalität und migrationsbedingte Mehrsprachigkeit
- Fribourg: Institut für Mehrsprachigkeit
- Hamburg:
- Forschungsschwerpunkt Mehrsprachigkeit und sprachliche Bildung
- Koordinierungsstelle Mehrsprachigkeit und sprachliche Bildung(KoMbi)
- Interdisziplinäres Forschungsprojekt Mehrsprachigkeitsentwicklung im Zeitverlauf (MEZ)
- Heidelberg: Heidelberg University Language and Cognition Lab (HULC)
- Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache
- Projekte
- Forschungsbasierte Dienstleistungen
- Veröffentlichungen
- YouTube-Playliste
- Themenportal Mehrsprachigkeit mit zahlreichen Beiträgen
- Faktencheck Mehrsprachigkeit in Kita und Schule
- Basiswissen Fremdspracherwerb
- Basiswissen individuelle Mehrsprachigkeit
- Basiswissen mehrsprachige Unterrichtselemente
- Köln: Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration (ZMI; Kooperationseinrichtung der Stadt Köln, der Bezirksregierung Köln und der Universität zu Köln)
- Konstanz: Zentrum für Mehrsprachigkeit
- Mannheim: Mannheimer Zentrum für Empirische Mehrsprachigkeitsforschung (MAZEM)
- München: Internationale Forschungsstelle für Mehrsprachigkeit
- Erklärvideos (in English)
- Seminare, Vorträge und Workshops
- Webinare
- Münster:
- Nijmegen:Max-Planck-Institut für Psycholinguistik (in den Niederlanden, aber nahe an der Grenze, mit deutscher Förderung und Webseite und Studien in Deutschland)
- Osnabrück: Forschungsstelle Mehrsprachigkeit
- Potsdam:
- Tübingen: Mehrsprachigkeitszentrum in Tübingen (MiT)
Forschungsnetzwerke und EU-Projekte
- Im Bilingualismus Matters Netzwerk engagieren sich Forschungsinstitutionen aus vielen verschiedenen Ländern. Neben informativen Webseiten bietet dieses Netzwerk auch zahlreiche Veranstaltungen für die breite Öffentlichkeit, vgl. z.B.
- EU-Webseiten bieten Informationen zur Mehrsprachigkeitspolitik der EU und zu geförderten Projekten, z.B. zu den folgenden EU-Projekten:
- Linguistically Sensitive Teaching in All Classrooms (LISTIAC, 2019 bis 2022): Entwicklung eines theoriebasierten Reflexionstool, das (künftige) Lehrkräfte in ihren Überzeugungen, Einstellungen und Handlungen sprachsensibel machen soll,
- Multilingual Mind (MultiMind, 2018-2022): Forschungs- und Ausbildungsplattform zur Mehrsprachigkeit.
- Das LITMUS-Netzwerk ist aus einem EU-Netzwerkprojekt zur Untersuchung von Sprachstörung bei mehrsprachigen Kindern entstanden. Die LITMUS-Webseite bietet Informationen und Ressourcen für Forschende, Familien und pädagogische Fachkräfte. Außerdem gibt es eine nützliche Liste von Personen, die am ursprünglichen Netzwerkprojekt beteiligt waren und meist noch weiter in diesem Bereich forschen-
- Das IDeAll-Projekt untersucht die sprachliche Entwicklung und sprachliche Bildung neu zugewanderter gehörloser und schwerhöriger Schüler*innen 2021-2024)
- Das Language Policy Research Network (LPREN) der internationalen Assoziation der Angewandten Sprachwissenschaft (Association Internationale de Linguistique Appliquée, AILA) verbindet Projekte zur Sprachpolitik, u.a. Projekte zu politischen Entscheidungen über Mehrsprachigkeit.
Mein persönlicher Sprachspinat-Tipp
Man kann zum Einstieg in die Theorien, Methoden und Befunde der Mehrsprachigkeits natürlich Bücher, Fachartikel oder Webseitenbeiträge lesen, die sich an Eltern, Bildungseinrichtungen, Forschende, Studierende oder die breite Öffentlichkeit richten. Außerdem verbreiten die in diesem Beitrag aufgelisteten Institutionen Informationen über aktuelle Projekte bzw. Befunde über ihre Webseiten, Presseberichte, soziale Medien oder Newsletter. Interessanter ist es jedoch, sich direkt an Forschungsprojekten zu beteiligen. Dies kann man auf unterschiedliche Weise tun:
- Als erwachsene Person kann man selbst in Studien zum Zweitspracherwerb Erwachsener teilnehmen – entweder in der Gruppe der Mehrsprachigen oder in der Kontrollgruppe, die Menschen umfasst, die keine oder nur geringe schulsprachliche Kenntnisse anderer Sprahen aufweist. Dabei erhält man nach Ende der Studie Informationen zu den Studienergebnissen. Wenn man an einer Trainingsstudie oder an einer Studie zu Unterrichtsmethoden teilnimmt, kann man unter Umständen sogar im Rahmen der Untersuchung kostenlosen Sprachunterricht erhalten. Die Untersuchungen von Erwachsenen können dabei – ebenso wie Studien mit Kindern – sehr unterschiedliche Formen annehmen, von Fragebogenstudien zum Sprachgebrauch über Reaktionszeitmessungen oder Augenbewegungsmessungen bei sprachlichen Aufgaben bis hin zu neurolinguistischen Experimenten mit Messungen von Hirnaktivitäten bei der Verwendung von Sprache(n).
- Eltern können zusammen mit ihren Kindern an Studien zur kindlichen Mehrsprachigkeit teilnehmen. Dies kann sehr unterschiedliche Formen annehmen: Mit Kindern unter einem Jahr kann man z.B. an Experimenten in einem Babylabor teilnehmen, wo mit kindgerechten Methoden gearbeitet wird, die in einem anderen Blogartikel beschrieben werden. Mit Kindern im Alter von ein bis vier Jahren können sich Eltern auch an Studien zur kindgerichteten Sprache beteiligen. Dazu kann man sich als Eltern-Kind-Paar in einem Universitätsspielzimmer ein- oder mehrmals beim Spielen aufnehmen lassen. Wer mehr involviert sein möchte, kann sich auch über längere Zeit hinweg zuhause in Interaktion mit dem eigenen Kind aufnehmen lassen. Solche Untersuchungen sind z.B. wichtig, um herauszufinden, mit welchen Strategien Eltern mit dem Vorhandensein mehrerer Sprachen in der Familie umgehen.
- Pädagogische Fachkräfte in Kitas, Lehrkräfte in Schulen sowie Parnerkitas oder Partnerschulen können zu Untersuchungen von Mehrsprachigkeit im Bildungssystem beitragen, sei es durch das Ausfüllen von Fragebögen zur pädagogischen Praxis oder durch die Beteiligung an Studien zur mehrsprachigen Interaktion von Kindern und Erwachsenen im Bildungsalltag.
Wie immer die Beteiligung an Studien aussieht, sie leistet einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis von Mehrsprachigkeit und zur Schaffen von besseren Bedingungen für mehrsprachigen Lernenden.